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Bericht
Nr. 24 des Otto Hug Strahleninstitutes, ISSN 0941-0791
Gesellschaft für Strahlenschutz e.V.
(GSS) Berlin, Bremen 2003, 80 Seiten, EURO 10,oo.
Alfred Körblein:
Säuglingssterblichkeit
nach Tschernobyl
Hagen Scherb und
Eveline Weigelt:
Zunahme der
Perinatalsterblichkeit, Totgeburten und Fehlbildungen in Deutschland, Europa
und in hochbelasteten deutschen und europäischen Regionen nach dem
Reaktorunfall von Tschernobyl im April 1986
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Vorwort
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Abstract / Zusammenfassung
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Autorinnen und Autoren
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Vorwort – Von Sebastian Pflugbeil
In Vorbereitung auf den 17. Jahrestag der
Tschernobyl-Katastrophe erscheint dieser Otto-Hug-Bericht der Gesellschaft
für Strahlenschutz mit zwei bemerkenswerten Arbeiten. Die Autoren befassen
sich seit vielen Jahren mit statistischen Untersuchungen epidemiologischer
Fragestellungen und haben viel dazu publiziert. In den vorliegenden beiden
Beiträgen geht es um Fragestellungen, von denen einflußreiche deutsche
Epidemiologen und Strahlenmediziner/-biologen/-physiker bisher die Meinung
vertreten, dass es nicht sinnvoll ist, diese Themen zu bearbeiten, weil es
gar nicht möglich sei, dabei etwas Vernünftiges herauszubekommen. Es geht um
die Untersuchung von Veränderungen der Säuglingssterblichkeit, der
Totgeburten und Fehlbildungen in Bayern, Deutschland und verschiedenen
europäischen Regionen nach dem Reaktorunfall in Tschernobyl im April 1986.
Das Establishment vertritt die
Auffassung, dass die durch Tschernobyl bedingte Erhöhung der
Strahlenbelastung außerhalb der engeren Tschernobylregion für die Bevölkerung
so gering war, dass man Auswirkungen auf die Gesundheit ausschließen, mit
Sicherheit aber nicht mit epidemiologischen Mitteln nachweisen könne. Es wird
sogar behauptet, dass selbst in der Tschernobylregion (Belorußland, Ukraine,
Westrußland) mit Ausnahme von Schilddrüsenkrebs bei Kindern keine
Gesundheitsschäden nachgewiesen werden könnten, die auf die erhöhte
Strahlenbelastung nach der Tschernobyl-Katastrophe zurückgehen.
Dr. Alfred Körblein (Umweltinstitut
München) hatte bereits Ärger ausgelöst, als er respektlos die bekannten
Untersuchungen des Mainzer Kinderkrebsregisters (Direktor: Prof. Dr. Jörg
Michaelis) über Krebserkrankungen in der Umgebung deutscher kerntechnischer
Anlagen genau gelesen und ganz anders bewertet hat als Michaelis und die
damalige Bundesumweltministerin Angela Merkel. Die Beharrlichkeit von
Körblein und die Schlüssigkeit seiner Argumente haben wesentlichen Anteil
daran, dass in diesen Tagen eine erneute Analyse der Krebserkrankungen in der
Umgebung deutscher Kernkraftwerke beginnt, bei der wichtige Hinweise von
Körblein berücksichtigt werden.
Bezüglich der Tschernobylfolgen
untersucht Körblein Daten zur Neugeborenensterblichkeit
(Perinatalsterblichkeit), der Geburtenrate und der Fehlbildungen (nur in Bayern),
die von amtlichen Stellen ermittelt wurden. Er hat nach Verbindungen zum
Zeitverlauf der äußeren Strahlenbelastung und der Belastung über die
Nahrungsmittel (Cäsium und Strontium) nach Tschernobyl gesucht. Körblein
entwickelt mathematische Modelle, die die Zusammenhänge beschreiben. Er
findet einen signifikanten Anstieg der Sterblichkeit von Neugeborenen in
praktisch allen untersuchten Datensätzen für das Jahr 1987. In den
höchstbelasteten Regionen um Tschernobyl gilt das auch noch für das Jahr 1988.
Die Auswertung von Monatsdaten gestatten es Körblein, Überlegungen zur
biologischen Plausibilität seiner Ergebnisse anzustellen. Bezüglich der
bayerischen Fehlbildungen findet Körblein einen hochsignifikanten
Zusammenhang mit der Cäsium-Bodenbelastung in den Bayerischen Landkreisen im
November und Dezember 1987.
Dr. Hagen Scherb und Eveline Weigelt,
beide aus dem GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit in Neuherberg,
untersuchen die Zunahme der Perinatalsterblichkeit, Totgeburten und
Fehlbildungen in Deutschland, Europa und in hochbelasteten deutschen und
europäischen Regionen nach Tschernobyl. Innerhalb der GSF sieht man diese
Arbeiten nicht gerne. Prof. Dr. Albrecht M. Kellerer, Direktor des Instituts
für Strahlenbiologie in der GSF, hat die Arbeiten von Scherb und Weigelt
mehrfach scharf angegriffen. Er muß den beiden Autoren zwar ein korrektes
statistisches Vorgehen bescheinigen, wirft ihnen aber vor, sie würden den
gegenwärtigen Stand des strahlenbiologischen Wissens nicht berücksichtigen,
aus dem man ableiten könne, dass es aussichtslos ist, mit epidemiologischen
Methoden nach Wirkungen von Strahlendosen unterhalb von 1 Millisievert zu
fahnden. Kellerer sieht die Zwickmühle, in der er sich befindet, einigermaßen
klar: publiziert Scherb seine Ergebnisse als Mitarbeiter der GSF, so steht er
damit in Widerspruch zu Veröffentlichungen höherrangiger Wissenschaftler der
GSF. Verbietet man seine Publikationen, so würde das in der Öffentlichkeit
durchaus als Indiz für die Richtigkeit seiner Überlegungen ausgelegt werden.
Über einen längeren Zeitraum wurde Scherb in einer Weise unter Druck gesetzt,
die mich an längst vergangene Zeiten erinnert. Auch mir wurde von meiner
Institutsleitung in der Akademie der Wissenschaften der DDR vorgeworfen, dass
ich unmöglich meine Arbeitsaufgaben in der medizinischen Forschung mit voller
Kraft wahrnehmen könne, wenn ich mich gleichzeitig mit den Auswirkungen des
Uranbergbaus in der DDR oder den Wirkungen von Atomwaffen befasse. Die
Wissenschafts-, Partei- und Staatsfunktionäre saßen in der gleichen Klemme
wie Kellerer.
Kellerer hatte sich schon recht früh
bezüglich seiner Einschätzung der Tschernobylfolgen festgelegt: "Die
erhöhten Erkrankungsraten werden von der Bevölkerung und vom Großteil der
Ärzteschaft der Strahlenexposition zugerechnet. Eine kritische Beurteilung
der Situation jedoch führt zu dem Schluß, daß es sich um Erhöhungen handelt,
die durch drei verschiedene Ursachen zustande kommen: 1. Veränderte und
eingeschränkte Lebens- und Ernährungsbedingungen, 2. Gravierende
Angstzustände, 3. Häufigere und intensivere ärztliche Untersuchungen und
vollständigere Berichte über Erkrankungen in den kontaminierten
Gebieten" (Bericht an das Rote Kreuz, Januar 1990). Wer so die Situation
in der Tschernobylregion beschreibt, (bevor er dazu auch nur eine einzige
belastbare wissenschaftliche Untersuchung vorgenommen hatte), der muß
natürlich die Suche nach Tschernobylfolgen in Deutschland oder Westeuropa für
völlig abwegig halten.
Scherb und Weigelt haben sich gegen die
Weisung, ihre Analysen der perinatalen Säuglingssterblichkeit und
Fehlbildungen nach Tschernobyl einzustellen, zur Wehr gesetzt. So ist es
möglich geworden, die vorliegende Arbeit tatsächlich zu veröffentlichen. Die
beiden Autoren können mit einem anderen mathematisch-statistischen Ansatz als
Dr. Körblein in zahlreichen Datensätzen zu Perinatalsterblichkeit und
Totgeburten in Deutschland und Europa sowie in niedrig bzw. hoch belasteten
Ländern und Regionen signifikante Trendänderungen in zeitlichem Zusammenhang
mit der Tschernobyl-Katastrophe aufzeigen. Der zweite Schwerpunkt der Arbeit
von Scherb und Weigelt beinhaltet die Analyse von Fehlbildungsdaten, die in
Bayern im Auftrag des dortigen Umweltministeriums erhoben wurden. Sie lassen
die Abschätzung zu, dass es in Bayern nach Tschernobyl zu 1000 bis 3000
zusätzlichen Fehlbildungen zwischen Oktober 1986 und Dezember 1991 gekommen
sein könnte. Die Analyse der Totgeburten führt zu ebenso erschreckenden
Ergebnissen: In Bayern, den neuen Bundesländern, West-Berlin, Dänemark,
Island, Lettland, Norwegen, Polen, Schweden und Ungarn gibt es nach ihrer
Analyse einen Totgeburtenüberschuß von etwa 3200 Fällen zwischen 1986 und
1992. Die Autoren weisen zu Recht darauf hin, dass erstaunlicherweise in den
einzelnen Ländern darüber nicht schon Ende der 80er Jahre berichtet wurde,
als dieser Effekt schon deutlich zu erkennen war, zumal die zugrundeliegenden
Daten frei zugänglich waren.
Das Gewicht dieser Analysen ist hoch,
weil die Trendänderungen in so vielen verschiedenen Ländern, in denen ganz
unterschiedliche Institutionen die relevanten Daten gesammelt haben, zum
selben Zeitpunkt und im selben Sinne erfolgen und sogar die
Dosis-Wirkungs-Beziehungen angegeben werden können. Die Autoren befassen sich
ausführlich mit der Frage der strahlenbiologischen Plausibilität ihrer
Ergebnisse.
Die Arbeiten von Körblein, Scherb und
Weigelt reiben sich an den Lehrbüchern, den Publikationen der internationalen
Kommissionen und des Establishments in Deutschland. Sie zeichnen sich dadurch
aus, dass sie nicht vom Lehrbuch aus die Realität sortieren, sondern zunächst
die Phänomene gesucht und wahrgenommen haben. Auch wenn das so manchen
Wissenschaftsvertretern nicht gefällt, ist der offensichtlich bestehende kaum
versöhnliche Streit um die Wahrheit ein für die Geschichte der
Naturwissenschaften und Medizin besonders interessantes und durchaus nicht
seltenes Ereignis. Wenn Lehrbuchweisheiten nicht mehr ausreichen, die
Beobachtungen in unserer Umwelt zu erklären, wird es spannend – an dieser
Stelle entstanden vielfach gänzlich neue Erkenntnisstufen, mit deren Hilfe
die zunächst mit der reinen Lehre unvereinbaren Beobachtungen sich ganz
zwanglos erklären lassen. Die Weigerung, bestimmte Fragen zu stellen,
konkrete Beobachtungen wahrzunehmen und das gleichzeitige Bemühen,
Wissenschaftler unter Druck zu setzen, die sich mit ebendiesen Fragen und
Beobachtungen befassen, wird aus der Sicht der Wissenschaftsgeschichte als
eine Kuriosität in die Annalen eingehen. Wir können von Glück sagen, dass wir
nicht mehr in Galileis Zeit leben, also nicht ernsthaft über Scheiterhaufen
nachdenken müssen, wenn wir Wissenschaft betreiben wollen. In einer Zeit, in
der die wissenschaftliche Karriere davon abhängt, wie ernst man
Lehrstuhlinhaber, Institutsdirektoren und starke Wirtschaftsinteressen bei
der Wahl seiner Forschungsschwerpunkte und der Darstellung der Wahrheit
nimmt, leben wir aber allemal.
Ich schätze die hier vorgelegten Arbeiten
vor allem aus folgendem Grund: Die Ignoranz des Establishments übersieht und
unterdrückt nicht nur irgendwelche Zahlen, sie übersieht eiskalt menschliches
Leid großen Ausmaßes und verhindert mit vermeintlich wissenschaftlichem
Getue, dass den betroffenen Menschen wirksam Hilfe zuteil wird. Wem soll man
denn helfen, wenn es gar keine Schäden (mit Ausnahme von Schilddrüsenkrebs
bei Kindern) gibt, sollen die guten Leute doch spazierengehen und Gemüse esse
und endlich mit ihrer Hysterie aufhören. Die vorliegenden Analysen deuten in
aller Vorsicht an, dass wir es allein bei den in diesem Zusammenhang
behandelten Problemen in Europa – also einigermaßen weit weg von Tschernobyl
– mit einer vierstelligen Zahl von Opfern zu tun haben. Ich hoffe sehr, dass
die dogmatischen Vorstellungen von Schwellenwerten, von den nicht vorhandenen
oder zumindest niemals nachweisbaren Wirkungen geringer Strahlendosen künftig
mehr an der Wirklichkeit gemessen werden als das bisher der Fall war – die
Arbeiten von Körblein, Scherb und Weigelt sind wichtige Schritte auf diesem
Weg.
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Abstracts /
Zusammenfassungen
Säuglingssterblichkeit nach
Tschernobyl
Alfred Körblein
Summary
In 1987, the year following the Chernobyl
accident, perinatal mortality was significantly increased in Germany as well as in Poland. The numbers of excess
perinatal deaths were 317 and 320, respectively.
Monthly data from Germany,
Poland and the region of Zhitomir, Ukraine,
exhibit a significant association between perinatal mortality and the delayed
caesium concentration in pregnant women with a time-lag of seven months.
In addition to an increase in 1987, perinatal mortality in the most
contaminated areas of Ukraine
and Belarus
show a second rise beginning in 1989 which can be related to the action of
strontium. The cumulative effect from strontium outweighs the effect of
caesium in 1987 by more than a factor of 10.
Monthly data of malformation rates in newborn were only available for
the State of Bavaria, Germany. No increase is observed
in 1987 in the Bavarian average. But at the end of 1987, seven month after
the highest caesium concentration in pregnant women in April and May 1987, a
highly significant dependency of malformation rates on caesium soil
contamination is found.
In southern Bavaria, which
experienced a much higher fallout than northern Bavaria
and the rest of Germany,
the birth rate was significantly decreased in February 1987. This drop in the
number of live births could be explained by an increase of spontaneous
abortions 9 months earlier, in May 1986.
According to conventional radiobiological knowledge, no detrimental
effects of ionising radiation on the foetus are expected below a threshold
dose of 50 mSv. Since the extra doses to the foetus from ingested caesium
were estimated well below 1 mSv the year following Chernobyl, the existence of a threshold
dose for radiation damage during foetal development must be questioned.
Zusammenfassung
Im Jahr 1987, dem Jahr nach dem
Reaktorunfall in Tschernobyl, war die Sterblichkeit von Neugeborenen (Perinatalsterblichkeit)
sowohl in Deutschland wie in Polen signifikant erhöht. In diesem Jahr starben
in Deutschland 317 und in Polen 320 Neugeborene mehr als statistisch
erwartet.
Für Deutschland, Polen und die Ukraine
standen auch Monatsdaten zur Verfügung. In allen Datensätzen zeigt sich ein
Zusammenhang der Sterblichkeit von Neugeborenen mit der um sieben Monate
verzögerten Belastung der Schwangeren mit radioaktivem Cäsium, das mit der
Nahrung aufgenommen wurde.
Neben einer Erhöhung im Jahr 1987 weisen
Daten aus den weißrussischen und ukrainischen Gebieten nahe Tschernobyl
außerdem einen erneuten Anstieg der Perinatalsterblichkeit ab dem Jahr 1989
auf, der sich mit der Wirkung von radioaktivem Strontium erklären lässt. Der
kumulierte Effekt von Strontium auf die Perinatalsterblichkeit überwiegt
dabei den Effekt von Cäsium im Jahr 1987 um mehr als den Faktor 10.
Daten der Fehlbildungsraten aus Bayern
zeigten im Jahr 1987 keine Auffälligkeit im bayerischen Durchschnitt.
Allerdings findet sich am Ende des Jahres 1987, sieben Monate nach der
höchsten Cäsiumbelastung der Schwangeren im April und Mai 1987, eine
hochsignifikante Abhängigkeit der Fehlbildungsrate von der
Cäsium-Bodenbelastung in den bayerischen Landkreisen.
Die Geburtenrate war in Südbayern im Februar
1987 - und nur in diesem Monat - signifikant erniedrigt. Südbayern war die
vom Tschernobyl-Fallout am stärksten betroffene Gegend Deutschlands. Der
Geburtenrückgang wäre mit einer erhöhten Anzahl von spontanen Aborten neun
Monate vorher, im Mai 1986, zu erklären.
Nach bisheriger strahlenbiologischer
Lehrmeinung dürfte es Strahlenschäden während der Embryonalentwicklung
unterhalb einer Schwellendosis von 50 mSv überhaupt nicht geben. Aber selbst
in den höchstbelasteten Gegenden Deutschlands betrug die zusätzliche Dosis im
ersten Folgejahr von Tschernobyl weniger als 1 mSv. Die Existenz einer
Schwellendosis für Strahlenschäden während der Embryonalentwicklung muss
deshalb in Frage gestellt werden.
Zunahme der
Perinatalsterblichkeit, Totgeburten und Fehlbildungen in Deutschland, Europa
und in hochbelasteten deutschen und europäischen Regionen nach dem
Reaktorunfall von Tschernobyl im April 1986
Hagen Scherb und Eveline Weigelt
Abstract
There is a growing awareness of many lasting detrimental health
consequences of the Chernobyl nuclear reactor
eruption in large parts of central, eastern and northern Europe.
A flexible synoptic spatial-temporal method based on logistic regression is
suggested for the analysis of official national as well as district by district
reproductive failure data. The main idea is to model a spatial-temporal
annual or monthly data set by adjusting for country or region specific trend
functions and either to test for local or global temporal jumps or broken
sticks (change-points) associated with the years 1986 or 1987 or,
alternatively, to test for a spatial effect of regionally stratified exposure
or dosimetry data on reproductive outcome. In numerous official data sets of
central, eastern, and northern European countries or regions absolute or
relative increases of stillbirth proportions after 1986 were observed. Those
purely temporal change-points are supported by results of ecological
exposure-response analyses involving the spatial dimension represented by
region specific exposure data. Significant ecological relative risks in the
range of 1.005 to 1.020 per 1kBq/m2 Cs-137 for stillbirth in Germany and pertinent congenital malformations
in Bavaria
are found. A similar result is obtained from Finish stillbirth and
radioactive exposure data. The relative risk coefficient of 1.01 per 1kBq/m2
Cs-137 translates to a preliminary relative risk coefficient of 1.60 per
1mSv/a. As a byproduct of our analyses, an effect of the background radiation
on reproductive health is identified, which is consistent with the effect of
the Chernobyl
fallout. The trend functions of the sex odds for stillbirth as well as for
live birth are also disturbed in 1986 or 1987. The disclosed spatial-temporal
effects in Germany and
Europe are suggestive of and consistent with a detrimental causal effect of
the radioactivity released by the Chernobyl
accident on reproductive outcome in large parts of Europe.
Zusammenfassung
Zeitliche und räumliche Trends der
Perinatalsterblichkeit und der Totgeburtenrate in Deutschland, Europa sowie
in durch den Tschernobylunfall niedrig und hoch belasteten einzelnen Ländern
bzw. Regionen wurden untersucht. In zahlreichen Datensätzen bzw.
Zusammenfassungen von Daten, vornehmlich aus nord- bzw. osteuropäischen
Ländern, zeigen sich positive und signifikante Trendänderungen im zeitlichen
Zusammenhang mit dem Unfall von Tschernobyl. Es ergibt sich das erstaunlich
konsistente Bild von signifikanten, sprunghaften, lang anhaltenden relativen
Anstiegen der Totgeburtlichkeit nach 1986 in der Größenordnung von ca. 5%
(z.B. Polen), ca. 20% (z.B. Dänemark, Finnland), bis ca. 30% (z.B. Ungarn).
Schwächer bzw. höher belastete Teilregionen weisen dabei schwächere bzw.
stärkere Effekte auf. Das kann man an den Beispielen Bayern, DDR und Finnland
exemplarisch zeigen. Bayern und DDR bzw. Finnland sind z. Z. die einzigen uns
vorliegenden Fallbeispiele mit nach Landkreisen bzw. Expositionsquintilen
gegliederten Tot/Lebendgeburten und Expositionsstatistiken. Mit diesen
Statistiken können, über den zeitlichen Zusammenhang hinaus,
räumlich-zeitliche ökologische Expositions-Wirkungs-Beziehungen zwischen
Flächenkontamination und Totgeburtenrate dargestellt werden. Als Nebenprodukt
unserer Untersuchungen können mit den vorliegenden Daten und unserer Methodik
ökologische Risikokoeffizienten für die Hintergrundstrahlung berechnet
werden, die teilweise gut mit den Risikokoeffizienten für die
Flächenkontamination nach Tschernobyl übereinstimmen.
Eine naheliegende unspezifische Erklärung
für die gefundenen Effekte sind Keimzellmutationen oder die Zerstörung
genetischer Information im Embryonalstadium. Mögliche Mechanismen, auf die in
der humangenetischen Literatur schon vor geraumer Zeit hingewiesen wurde
(Vogel 1961), sind bis heute weder durch Strahlenbiologie, Epidemiologie,
Genetik noch durch andere einschlägige wissenschaftliche Disziplinen näher
erforscht und quantifiziert worden (vgl. Vogel 2000). Ein in der Literatur
bereits Ende der 50er Jahre beschriebener geschlechtsspezifischer Effekt der
radioaktiven Belastung des Menschen ist in unseren Daten deutlich erkennbar,
und zwar sowohl mittels globaler Totgeburtenstatistiken auf Europaebene als
auch mittels lokaler Totgeburtenstatistiken auf Landkreisebene in
Bayern+DDR+West-Berlin: Das männliche Geschlecht ist von der zusätzlichen
Totgeburtlichkeit nach Tschernobyl stärker betroffen als das weibliche. Bei
den Lebendgeburten kommt es dagegen ab 1986/1987 zu einer sprunghaften
Verschiebung des Geschlechtsverhältnisses zuungunsten des weiblichen
Geschlechts. Die asymmetrische Verteilung der Geschlechtschromosomen auf Mann
und Frau, die asymmetrische Funktion der Geschlechtschromosomen hinsichtlich
dominanter und rezessiver Letalfaktoren bei der Fortpflanzung sowie der
beträchtliche Größenunterschied zwischen X- und Y-Chromosom wurden von Vogel
(1961) als Erklärungsversuch angeboten.
Im Auftrag des Bayerischen
Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen (BStMLU) wurden die
angeborenen Fehlbildungen in Bayern von 1984 bis 1991 durch INFRATEST erhoben
und vom Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) – ansatzweise im Hinblick auf
Tschernobyl – mit negativen Befunden ausgewertet. Diese Fehlbildungsdaten
sollen noch einmal gründlich, in gegenseitiger Abstimmung zwischen BStMLU,
BfS, TU-München, LMU-München, Umweltinstitut München e.V. und GSF analysiert
werden. Drei gemeinsame Sitzungen haben stattgefunden. Einige Probleme und
erste eigene Resultate dieser Analysen werden hier dargestellt. Die
zusätzlichen Risiken pro 1 kBq/m2 Cs-137 Flächenkontamination für eine Reihe
von Fehlbildungen bewegen sich in ähnlicher Größenordnung wie die Risiken für
Totgeburt im Bereich von 0.5%-2.0%/(1kBq/m2), wobei die Risiken für die
Fehlbildungsdiagnosen im Vergleich zu Totgeburt tendenziell größer sind.
Anhand der bekannten Konversionsfaktoren übersetzt sich ein zusätzliches
Risiko von 1%/(1kBq/m2) rein rechnerisch in ein vorläufiges relatives Risiko
von 1.6/(1mSv/a), wenn man nur die durch die beiden Cs-Isotope Cs-137 und
Cs-134 vermittelte externe Dosis ohne Abschirmung berücksichtigt. Auf die
Problematik der Risikoangabe auf Basis der Dosis (mSv/a) im Gegensatz zur
Basis der Flächenkontamination (kBq/m2 Cs-137) wird gesondert eingegangen.
Unter den insgesamt 29961 uns
vorliegenden Fällen mit Fehlbildungen des Bayerischen Fehlbildungsdatensatzes
(1984-1991) haben wir bisher 8689 Fälle genauer analysiert: Zwei häufige
Herzfehlbildungen (n=2797), Deformitäten (n=3686), nicht identifizierte
Fehlbildungskombinationen (n=1817) und Mikrozephalus (n=389). Eine
Bilanzierung der Exzess-Fälle in diesen Diagnosegruppen anhand der
signifikanten diagnosespezifischen relativen Risiken pro kBq/m2 Cs-137 nach
Tschernobyl ergibt knapp 1000 zusätzliche Fehlbildungen in Bayern von
10/1986–12/1991. Eine vorsichtige Hochrechnung dieses Resultates auf alle
Fehlbildungen macht deutlich, dass es nach Tschernobyl in Bayern zu 1000-3000
zusätzlichen Fehlbildungen im untersuchten und exponierten Zeitraum gekommen
sein könnte. Vielleicht ist diese Zahl aber noch größer, u.a. weil im
Bayerischen Fehlbildungsdatensatz Bagatell- und Verdachtsfehlbildungen nicht
enthalten sind und die Erfassungsquote unter 100% liegen dürfte.
Unsere Beobachtungen und Ergebnisse
sollten Anlass sein, die bisherigen Grundannahmen in der Strahlenbiologie und
im Strahlenschutz im Hinblick auf Reproduktionsstörungen zu überprüfen. Die
dort verwendeten Schwellenwertkonzepte, mit offenbar relativ hoch angesetzten
Schwellen, sind möglicherweise Artefakte negativer bzw. negativ
interpretierter Untersuchungen mit zu geringer statistischer Aussagekraft. Es
stellt sich im übrigen die Frage, ob es adäquat ist, Totgeburt und
Fehlbildung als sogenannte deterministische bzw. somatische Effekte
aufzufassen, wie dies einige Autoren und Institutionen tun (BEIR V 1990,
Jacobi 1990, Kellerer 1998, Strahlenschutzkommission 1989, Streffer 1995,
UNSCEAR 1993). Die Unterscheidung ‚deterministisch - stochastisch’ könnte ein
semantischer ‚Kunstgriff’ sein, der die Begründung von Schwellentheorien für
Reproduktionsstörungen erleichtern soll.
Die folgende Stoffauswahl fasst nur die
wichtigsten Daten und Methoden zusammen, es konnten hier bei weitem nicht
alle beobachteten Effekte und methodischen Aspekte dargestellt werden.
Insbesondere bei den Fehlbildungen haben wir erst ein Drittel des
Datenmaterials auf grobe Effekte hin untersucht.
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Autorinnen und Autoren:
Alfred Körblein, Dr. rer. nat., Dipl. Phys.
Umweltinstitut München e.V.,
Schwere-Reiter-Str. 35/1b, D-80797 München
Hagen Scherb, Dr. rer. nat., Dipl. Math.
GSF-Forschungszentrum für Umwelt
und Gesundheit GmbH, Ingolstädter Landstr. 1, D-85764 Neuherberg
Eveline Weigelt, Dipl. Sc. Pol.
GSF-Forschungszentrum für Umwelt
und Gesundheit GmbH, Ingolstädter Landstr. 1, D-85764 Neuherberg
Sebastian Pflugbeil, Dr. rer. nat., Dipl. Phys.
Gesellschaft für Strahlenschutz
(GSS) e.V., Gormannstr. 17, D-10119 Berlin
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